Vor dem Leipziger Bach-Museum sieht man ja ganz häufig Gruppen von Touristen aus der ganzen Welt stehen. Die Leute, die sich gestern nachmittag versammelten, waren alle Leipziger, im weitesten Sinne, nämlich alteingesessene, freiwillig zugezogene und auch solche, die nicht ganz freiwillig hier leben, weil nämlich in ihren Herkunftsländern Krieg und Terror herrschen. Die, vor denen manche Leute so viel Angst haben.
Hier wurde ab 16,00 Uhr das Projekt“ East Side-Ursprung-Ost II „ vorgestellt.
„Leipzig East Side – Ursprung Ost II bezeichnet ein Projekt, wo Jugendliche, besonders aus dem Leipziger Osten, ihrem Zeitgefühl und Antworten zur Gesellschaft, in der sie leben, durch Kunst Ausdruck geben können. Der Bezug zum Osten ist inhaltlich mit drei Aspekten angedacht: Leipziger Osten, Osten von Deutschland, Leipzig als Kreuzungspunkt vom Nahen Osten, Orient und Okzident.
Jugendliche aus dem Leipziger Osten, insbesondere mit Migrationshintergrund. kommen aus den unterschiedlichsten sozialen und kulturellen Verhältnissen, haben oft Probleme mit der eigenen kulturellen Identität. Die Eisenbahnstraße geht durch dieses Viertel als große Tangente Richtung Osten. In dem Projekt hatten Jugendliche die Möglichkeit, sich mit ihrer eigenen Lebenssituation auseinanderzusetzen und diese auf vielfältige künstlerische Art zu zeigen.Neben gemalten Bildern, Graffiti und Schriftzügen entstanden über den medialen Bereich Film Interviews von Jugendlichen an ausgesuchten Orten in Leipzig zu Thema Heimat, Identität, Krieg und Frieden. Dieser Film bildete die Umrahmung zur szenischen Arbeit, die vor Ort erzählte und auf der Bühne gespielte Geschichten zeigt. Eigene Texte oder traditionelle Texte in anderer Sprache sind genauso wichtig, wie bekannte Songs oder Texte aus der Jugendszene. Als Gesamtdokumentation präsentieren die Jugendlichen zwei Auftritte als Theaterstück, wo der Zusammenhang zu den ausgestellten Bildern und Texten deutlich wird.“
So der Einladungstext der Projektleiterin Britta Schulze
Der wunderbar restaurierte barocke Sommersaal im Haus der Familie Bose war bis auf den letzten Platz gefüllt, weitere Stühle wurden herbeigetragen. Die Begrüßung der Dame des Hauses fiel sehr offen und warmherzig aus. Sie führte auch die wandelbare Decke vor, die sich auf Knopfdruck zur Musik-Empore öffnete und fand passende Worte zu der Verbindung zwischen der altehrwürdigen klassischen und Bachschen Musik zu den musikalischen Bereicherungen durch zugewanderte Musiker.
Britta Schulze, die Leipziger Malerin, Kunst-Dozentin, Performance-Künstlerin und Projektleiterin stellte ihre Arbeit mit Jugendlichen im offenen Freizeittreff „Rabet“ an der Eisenbahnstrasse vor. Auch in einem Beitrag von mir berichtet sie davon. Seit mittlerweile vier Jahren arbeitet sie in diesem Haus mit künstlerischen Mitteln und trägt somit dazu bei, den Jugenlichen aus völlig verschiedenen Herkunftsländern eine Möglichkeit der Verbindung mit ihrer Kultur und den neuen Lebensräumen zu schaffen. Zentrale Frage ist immer wieder der Bergriff Heimat,(Familie, Kultur, Sprache, Geborgenheit), die mit künstlerischen Mitteln leichter zugänglich sind als in der Alltagssprache. Auf diese Frage findet wohl jeder Mensch eine andere ganz individuelle Antwort.
Gezeigt wurden Fragmente aus einem Film von Felix Richter mit Interviews, die Britta Schulze mit verschiedenen Personen führte. So lernen wir ein junges Mädchen mit Kopftuch und sächsischem Dialekt kennen, die auf die Frage nach ihrem Geburtsort Zschopau angibt, danach lebte sie in Chemnitz und nun eben in Leipzig. Ihre Eltern sind Palästinenser aus Jerusalem. Sie liebt ihre Familie und ihre Freunde und hat Zukunftsvorstellungen, wie jedes andere Mädchen in ihrem Alter auch. Ein Biker, der nach Ehrenkodex lebt und vor Überfremdung Angst hat, kommt genauso zu Wort, wie andere Neuleipziger oder der behinderte Jugndliche aus dem Kietz, der nur ausländische Freunde hat, weil die ihn respektieren. Hier geht es nicht um ein glanzvolles filmisches Kunstwerk, sondern um eine Ausdrucksmöglichkeit von vielen und darum, im Gespräch zu bleiben und weitere Diskussionen anzuregen. Der komplette Film soll noch später aufgeführt werden. Arabische Musik wird von zwei jungen Leuten mit Laute, Trommel und mit feenhaftem Gesang zelebriert. An der Reaktion der jungen Männer neben mir merke ich, wie sie diese Klänge in weite Ferne treiben. Sie stehen auf, bewegen sich im Takt, singen leise mit und klatschen begeistert und gerührt. Sie verstehen die Texte offensichtlich und sind damit im Vorteil. Ich finde es einfach nur schön.
Dann stellt sich Halil vor, Student der Sprachwissenschaften, der seit sieben Jahren in Deutschland lebt und aus der größten Syrischen Stadt stammt.(Aleppo denke ich). Er erzählt von seinen ersten Eindrücken und wie er zuerst dachte, in einem kleinen Dorf mit schlechten Straßen und wenig Menschen gelandet zu sein. Nun fühlt er sich hier wohl und ist für die Unterstützung seiner Heimat persönlich verantwortlich, nicht nur weil er selbst viele Familienmitglieder verloren hat. Er gründete den Verein Syrienhilfe und organisiert direkte Spendenlieferungen, die er selbst mit nach Syrien begleitet, damit sie wirklich ankommen. Den großen Organisationen schenkt er kein Vertrauen.
Zum Abschluß gab es noch sehr persöliche Texte von Jugendlichen und eine Diskussion. Die Eisenbahnstrasse ist angekommen im kulturellen Zentrum Leipzigs und zeigt, wie notwendig die Hinwendung zum Thema Heimat und zur viel besprochenen Willkommenskultur ist. Ein gelungenes Beispiel der Auseinandersetzung. Das Projekt wird fortgesetzt. Ich werde es gern begleiten und meinen Beitrag durch die Berichterstattung hier leisten.
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